Welche Räume braucht der Glaube?

Vor einigen Jahren war ich mal wieder in der Kirche meiner Kindheit - und habe gestaunt über mein Körpergedächtnis. Die Farben – Ziegelwände, geschwungene Bögen aus hellem Holz – wie Heimkommen war das. Selbst die Schattenmuster auf den Bänken habe ich wieder erkannt! Überrascht aber hat mich das Glücksgefühl beim Glaubensbekenntnis. Die Kirche war voll besetzt, der Klang des gemeinsamen Sprechens in diesem Kirchenraum war daher mächtig - und so vertraut, als wäre ich nie weg gewesen. Ja, ich hatte die merkwürdige Idee: das ist der „Ur-Klang“. So MUSS es klingen! – und ab da freute ich mich auf das Vaterunser, um dieses „So ist es richtig“ – Gefühl noch einmal zu haben.

Vielen Menschen wird es ähnlich gehen: regelmäßigen GottesdienstbesucherInnen ist die Kirche das Sonntagszuhause, für viele andere gehört die/eine Kirche fest zum Heimatgefühl. Darum sind auch viele beunruhigt, wenn sie hören: die Kirchengemeinden schauen aus verschiedenen Gründen (demographischer Wandel, Kirchenaustritte, weniger Kollekteneinnahmen durch selteneren Kirchenbesuch, weniger Spenden bei Hausbesuchen) besorgt auf ihren Gebäudebestand. Die Barone von Thüngen waren 1740 bei der Einweihung der schönen Barockkirche in Zeitlofs erst mal stolz. Sie werden kaum sofort Rücklagen für den Erhalt dieses Gebäudes gebildet haben. „Das geht schon irgendwie, wenn es soweit ist!“ Und so ging es lange. Wenn gerade Geld da war, konnte man etwas machen. Inzwischen ist die kleine Kirchengemeinde Eigentümerin – und so ist es an vielen Orten. Die Landeskirche fährt ihren Anteil an Renovierungen drastisch zurück, da sie aus denselben Gründen mit erheblich geringeren Kirchensteuern in der Zukunft rechnet. Wo Zuschüsse vom Denkmalschutz möglich sind, muss man mit Auflagen rechnen, die Renovierungen teurer machen. Oft wird gesagt: „Die Kirche ist doch reich! Sie hat doch diese ganzen Gebäude und Grundstücke!“ Das ist aber ein nur theoretischer Reichtum. Wir können ja nichts von der Kirche abschneiden und verkaufen, um davon die Heizkosten zu bezahlen. Auch den Boden unter der Kirche kann keiner zu Geld machen…

So stehen nun Kirchenvorstände und Pfarrpersonen vor der schwierigen Aufgabe, zu entscheiden: Was wollen wir unbedingt erhalten? Was können wir uns noch leisten? Was müssen wir loslassen?

Doch ist das wirklich nur schlimm?

Im privaten Bereich erinnern wir uns ja auch gerade an Zeiten, als Familien die meiste Zeit in einem beheizten Raum verbrachten, man mit Wärmflasche im kalten Schlafzimmer rasch unter die Decke huschte, und die gute Stube nur zu besonderen Anlässen warm war. Das war keineswegs Steinzeit und hat auch lange funktioniert.

Gemeindehäuser gibt es erst seit etwa 200 Jahren, als das gesellige Vereinsleben entstand und entsprechend auch Kirchengemeinden viele Möglichkeiten anboten, sich zu treffen, über die Grundlagen des Glaubens zu informieren und auszutauschen. Lange hieß es: eine lebendige Kirchengemeinde erkennt man daran, wie ihr Gemeindehaus genutzt wird.

Die größere Freiheit des modernen Lebens bewirkt, dass Menschen heute ihre Freizeit sehr individuell gestalten. Die Mobilität erlaubt es, dass sie größere Entfernungen zurücklegen um „genau ihr Ding“ machen zu können. Darunter leiden Angebote der Kirchengemeinden wie auch vieler Vereine. Im Augenblick ist Gemeinschaftserleben mit den Menschen, mit denen ich mehr oder weniger zufällig zusammen wohne, wenig gefragt. Daraus ergibt sich eben auch: Ein Gemeindehaus, das nur noch zu wenigen Gelegenheiten im Jahr wirklich genutzt wird, ist bei allem ideellen Wert nicht mehr zu finanzieren. Da es vielen Vereinen mit ihren Räumen ähnlich geht, bietet es sich an, ganz ehrlich zu überlegen: Brauchen wir das noch? Oder können wir für unsere Veranstaltungen auch woanders sein? Was geht gemeinsam? Was geht mit etwas Umgestaltung auch in der Kirche?

Sicher werden einige wehmütig an das denken, was sie in ihrem Gemeindehaus erlebt haben, und der Abschied, den die einen Gemeinden früher, andere später werden nehmen müssen, wird schwer. Da es weniger PfarrerInnen geben wird, braucht es auch einige Pfarrhäuser nicht mehr. Auch das ist schmerzhaft.

Andererseits glauben wir, dass Gott uns überall begegnen kann. Und Jesus hat seine Jünger gezielt zu den Menschen geschickt, also an die Orte, wo sie damals zusammenkamen. Eben das ist und bleibt wichtig: das Zusammenkommen im Namen Jesu, die „Gemeinschaft der Heiligen“, also all der Menschen, die darauf vertrauen, dass sie durch Gottes Liebe zu etwas Besonderem berufen und befähigt sind. Dazu braucht es Räume, in denen man sich auch wohlfühlt, in denen man einander wahrnehmen und Gutes bewirken kann. Dennoch hängt der Glaube an den lebendigen „Gott, der mich sieht“, wie unsere Jahreslosung so schön bekennt, nicht an Gebäuden. Dieser Glaube will ja überall, wo wir sind, gelebt werden.

Ja, das erfordert ein ziemlich radikales Umdenken. Künftig wird es nicht mehr so sein, dass einige wenige quasi stellvertretend für alle „den Kirchenbetrieb aufrechterhalten“. Kirchen-gemeinde wird da wahrgenommen werden, wo Menschen rund um Bibel und Glauben zusammenkommen und, dadurch inspiriert, etwas auf die Beine stellen. Und wo das nicht geschieht, da kann tatsächlich auch der zum Himmel weisende „Zeigefinger Kirchturm“ seinen Inhalt und Sinn verlieren und eine Kirche bloß noch ein Denkmal früherer Zeiten sein.  

Wo aber eine Kirche den Menschen am Herzen liegt, da werden helfende und betende Hände, freigiebige Spenden und vorhandene hilfreiche Kontakte dafür sorgen, diese Kirche zu erhalten für eine Zukunft, in der sie auch für unsere Kinder und Enkel zum Heimatgefühl gehören kann, zum Ort an dem sie erfahren, dass Gott da ist und sie sieht und liebt.

 

(Barbara Weichert)