Liebe Leserinnen und Leser,
Advent ist Lichtzeit: Hinterleuchtete Bilder in den Fenstern, Schwippbögen und die tropfende Armut der Kerzen. Auch das Grelle hat seinen Auftritt. Häuser und Vorgärten werden zu riesigen Beleuchtungsbühnen: Lichterketten zieren Giebelwände und Dachrinnen. Die Tage vor Weihnachten sind lichtsatt. Aber das ist nur die eine Seite. Advent hat auch mit Nacht zu tun. Kaum einer wusste davon in solchen Tiefen wie Jochen Klepper, der es gewagt hat, ein ganzes Adventslied in die Nacht zu setzen: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern.“
Klepper mag dieses Gestirn der Frühe. Der Morgenstern ist bei ihm das Sehnsuchtsbild für den kommenden Christus, den Frühlichtzeugen einer erlösten Zeit. Kleppers Nacht ist adventlich durch das Finstere, das es auszuhalten gilt. Aber sie dringt vor bis zum blinzelnden Stern des Morgens, bis zum adventlichen Heiland: „Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Von dieser Pein weiß kaum einer so lebensbedroht wie Jochen Klepper, als er dieses Lied im Finsterjahr 1938 dichtet. Die Synagogen brennen, den jüdischen Geschäftsleuten bläst ein eisiger Wind durch die zerschlagenen Schaufenster. Der kalte Tod geht um. Bald wird die Nacht morgensternfern in Auschwitz und Treblinka lagern. Sie macht auch vor humanistisch gebildeten Bürgerseelen nicht Halt. Zur Führungsriege der Nationalsozialisten gehören nicht wenige Edelhumanisten mit beachtlicher Bildung. Man liest die Klassiker, zitiert Nietzsche und hört Wagner. Klepper lebt keineswegs in einer Zeitnacht hirnloser Kulturbanausen. Das ist das eigentliche Grauen dieser Jahre: Die braune Dunkelkammer folgt direkt auf das hoch gelobte Abendland. Es war auch damals nicht mehr so ganz christlich, aber noch immer von Dichtern und Denkern bevölkert.
Jochen Klepper ist ein Kind dieser abendländischen Zeiten, die nun aus dem Licht der Aufklärung mitten in den Bankrott des Menschlichen fallen. Diese Weltverfinsterung entzieht ihm den Boden unter den Füßen. Er ist ja selbst ein Dichter, und ein Deutscher noch dazu. Er weiß noch nicht, dass ausgerechnet der Stern das Verrätersymbol der Gotteskinder sein wird. Seine jüdische Frau Hanni wird diese Verhöhnung vom Jahr 1941 an tragen müssen, seine Tochter Renate auch.
Und doch schreibt Klepper dieses Lied wie eine Fanfare der Hoffnung: „Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“
Klepper reist in die Höhle des Finsterlöwen Adolf Eichmann und fleht für Frau und Tochter. Ohne Erfolg. Aber gerade jetzt, mitten in dieser lähmenden Verzweiflung findet er das trotzige Überlebenswort der Zerschlagenen: „Gott will im Dunkel wohnen.“ Das ist, wenn man es in seiner Tiefe bedenkt, ein eigenes Evangelium. Eine frohe Botschaft für die Verfinsterten, für die Dunkelkammerbewohner ihres Lebens. Klepper setzt sein ganzes Vertrauen in einen Gott, der sich auf die Nacht einlässt und sie zu seiner Wohnstatt macht. Damit wird er zum Sprachfinder einer Theologie nach dem Holocaust.
„Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.“
Da ist er wieder, der adventliche Christus, der aus dem Dunkel von Gethsemane kommt. Schon in dieser Nacht hatte Gott Wohnung genommen. So, wie in deiner und in meiner.
Thomas Perlick
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