Liebe Leserin, lieber Leser,
die Erde ist ein großes Ding. Sie beherbergt riesige Meere, Sandwüsten und Eisflächen. Flüsse schlängeln sich durch halbe Kontinente und Wasserfälle stürzen brausend in schwindelnde Tiefen.
Die Erde ist ein großes Ding. Sie trägt Städte, deren Häuser an den Wolken kratzen. Geschwungene Brücken überspannen weite Täler und lange Tunnel unterqueren ein halbes Mittelgebirge.
Die Erde ist ein großes Ding. Längst haben wir begonnen, sie vom Weltraum aus zu vermessen. Nun wissen wir bis auf wenige Meter genau, wo Wege, Plätze oder Hügel sind und welche Straße zu welchem Ziel führt. Das ist überaus hilfreich beim Navigieren. Auch ich finde so manches Ziel nur noch mit dem sprechenden Wegweiser im Auto.
Aber es gibt, wie immer, auch eine andere Seite: Nach und nach überziehen wir die Erde mit einem Gitter von Beobachtungsquadraten. Wir zoomen uns in die Intimsphäre der Landschaften und manchmal sogar der Menschen. Was ich sehen kann, das kann ich beherrschen. Zumindest fühlt es sich so an.
In der Vermessung durch den Menschen scheint die Erde zu schrumpfen. Wie von einem feinen Haarnetz überzogen, zerfällt sie in Milliarden kleiner Sichtfenster. Alles Verborgene verschwindet in seine eigene Sichtbarkeit hinein.
Aber die Wunder der Erde liegen nicht in ihrer Vermessbarkeit, sondern in ihrer Einzigartigkeit. Nicht in ihrer Verwertbarkeit, sondern in ihrer Schönheit. Die Erde ist Schöpfung, heiliger Raum. Dieses Geheimnis ergründen wir nicht, wenn wir das gigantische Lineal an unseren Planeten legen. Von der Schönheit der Dinge muss man gefunden werden. Das ist die Wahrheit der Staunenden. Messbar ist da nichts, wunderbar alles. Wir entdecken das im Zauber der Jahreszeiten, in den unterschiedlichen Himmeln über uns, den Ländern, die wir bereisen und den Meeren, die den Horizont berühren. Wir hören es im glucksenden Flüstern der Bäche und im Klageruf der Nachtigall. Wir atmen es ein im betörenden Duft der Blüten und in der kühlen Herbheit der Frühnebel. Wir schmecken es in der Würze der Kräuter und der Süße reifer Kirschen. Die Welt ist Schöpfung in all ihrer Weite, Höhe und Tiefe. Ihre Wunder verbergen sich in ihrer Unfassbarkeit.
Joachim Neander hat das großartig gedichtet und Georg Christoph Strattner eine wunderbare Melodie dazu komponiert. Wenn Sie mögen, dann singen Sie dieses grandiose Loblied doch irgendwo draußen. Nur Mut! Beschwingter kann man die Schöpfung nicht feiern:
„Himmel, Erde, Luft und Meer, zeugen von des Schöpfers Ehr; meine Seele, singe du, bring auch jetzt dein Lob hinzu.
Seht, wie Gott der Erde Ball, hat gezieret überall. Wälder, Felder, jedes Tier zeigen Gottes Finger hier.
Ach mein Gott, wie wunderbar stellst du dich der Seele dar! Drücke stets in meinen Sinn, was du bist und was ich bin.“ (Ev. Gesangbuch Nr. 504)
Na, dann machen Sie sich ruhig mal auf die Suche nach Gottes Finger in dieser Weltschöpfung! Ohne Navi, ohne Vermessungskoordinaten, aber mit einem wahrhaft herrlichen Lied auf den Lippen!
Ihr Thomas Perlick aus dem Staatsbad
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