Trotzdem

Kreidebild Trotzdem
Bildrechte Pfarramt Zeitlofs (jw)

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir singen mit den Konfis zur Zeit ein Lied, in dem heißt es: „Ich danke dir, dass du mich kennst und trotzdem liebst.“ Das beschäftigt mich. Oft höre ich: „Früher haben die Leute mehr zusammengehalten. Das war doch im Dorf ganz anders als heute.“ Da ist was dran. Als die meisten noch kein Auto hatten oder ihres noch sehr sparsam einsetzten, waren einfach mehr Menschen auf der Straße sichtbar. Als noch nicht jeder ein TV-Gerät hatte, saß man miteinander auf der Bank, hat erzählt und gesungen. Samstag-Abend-Show vor Ort. Sicher haben auch da die Jungen ihr eigenes Ding gemacht, nicht bei den Alten gesessen. Aber es kamen welche zusammen, die einiges hätten aufzählen können, was andere im Leben nicht so gut hingekriegt hatten. Man saß trotzdem beieinander und hielt es aus, wenn der eine nach einem gewissen Quantum Bier Volksreden hielt und die andere ins Keifen geriet, wenn jemand kaum mal den Mund aufmachte oder eine mit immer denselben ollen Kamellen anfing. Man kannte einander eben gut, nicht nur die Schoko-Seiten, auch die „Leichen im Keller“. Ich will nicht leugnen, dass es auch Einzelne gab, die an den Rand gestellt wurden. Aber im Großen und Ganzen hielt man gegenseitig die Macken aus. Da durfte auch mal jemand ausrasten, sich daneben benehmen, Fehler machen. Klar wurde im Dorf drüber geredet, und es hieß vielleicht am Schluss achselzuckend: „So ist er/sie halt.“ Doch das musste nicht zur Abgrenzung führen.

Heute scheint das Miteinander immer schwieriger zu werden, obwohl ein Grunddogma unserer Zeit doch ist: „Jede/r darf sein, wie er/sie will!“ Über vieles, was früher selbstverständlich war, muss man heute reden und abstimmen - und über erstaunlich vieles gibt es keinen Konsens mehr. Wurden früher eher ältere Leute mit den Jahren unduldsamer, geht heute ein Zug durch alle Generationen: Wenn der/die andere nicht exakt so ist, wie ich das erwarte, wird der Kontakt zurückgefahren oder abgebrochen. Nachsicht wünscht man sich für sich selbst, bringt sie aber für andere kaum auf. Ob das damit zu tun hat, dass man mit dem Smartphone ja stets die Möglichkeit bei sich trägt, mit unendlich vielen Menschen in Kontakt zu sein, die exakt dieselben Ansichten haben wie ich? Wie wäre es wohl, wenn diese vielen sich alle persönlich kennen würden? Ob dann nicht doch mehr Trennendes als Gemeinsames zum Vorschein käme? Die hochgezogenen Augenbrauen des einen, der Körpergeruch der anderen, die saloppen Bemerkungen eines dritten, die Engstirnigkeit einer vierten?

Wir Menschen ertragen einander nicht mehr so gut über längere Zeit. Kommt es daher, dass viele nichts mehr mit einem Leben nach dem Tod anfangen können? Ihnen deshalb die Karwoche und Ostern nichts mehr sagen?

„Ich danke dir, dass du mich kennst und trotzdem liebst.“ In der Anstrengung, individuell zu sein und es zugleich allen recht zu machen, wirkt der Satz wie ein wunderbares Entspannungsbad. Gott kennt wirklich alle Seiten an mir, auch die, die ich selbst nicht gerne mag und zeige. Und trotzdem darf ich so sein und hier sein. Und trotzdem – nein, gerade deswegen – wurde Gott Mensch. Jesus kam nicht zur Welt, weil damals alle Menschen edel und gut gewesen wären und den Hohen Besuch Gottes verdient hätten. Im Gegenteil. Er kam „trotzdem“. Zeigte mit seiner Liebe deutlich auf, wo überall Lieblosigkeit herrscht. Trumpfte nicht auf, sondern ließ sich von den herrschenden Bedingungen wegschieben und töten. Und blieb eben nicht „tot & vergessen“, sondern für immer mehr Menschen quicklebendig, die genau das spürten: Ich danke dir, dass du mich kennst und trotzdem liebst.

Ich wünsche uns, dass wir am Gründonnerstag mit diesem Gedanken zum seelischen Frühjahrsputz in der Beichte oder beim Tischabendmahl gehen, dass wir am Karfreitag mit diesem Satz im Herzen auf das Kreuz blicken, und dass wir Ostern in die Freude einstimmen können, dass wir auch in unserer Zeit der Selbstdurchsetzung diese Erfahrung frisch und lebendig machen können: Ich bin „trotzdem“ geliebt und angenommen, darf leben und sein wie ich bin - und mich verändern.

Barbara Weichert

 

 

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